Von Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt in Berlin/München
Kommentar zum Urteil des Mannheimer Verwaltungsgerichtshof zur Entziehung des Titels wegen Unwürdigkeit
Ein weißer Fleck an der Wand im Wohnzimmer. Bisher hing dort jahrelang die Doktorurkunde. Wie konnte es dazu kommen?
Die öffentliche Antwort des Nobelpreisträgers Thomas Mann, dem mit einer dürftigen Postkarte seine Doktorwürde entzogen wurde, war eine flammende Anklage gegen Deutschland zu Zeiten des Nationalsozialismus. Die Doktorwürde nachträglich auf einer Postkarte zu entziehen, war ein schrecklicher Affront gegen den Künstler. Ähnliches passierte jetzt einem Forscher vor dem Mannheimer Verwaltungsgerichtshof, dessen Forscherleben allerdings durch Fälschungen und Plagiate geprägt war.
Der Hintergrund war allerdings anders als bei Thomas Mann.
Während Thomas Mann der Titel entzogen wurde, weil er als politischer Gegner eingestuft wurde, war der aktuelle Fall Reaktion auf die Enttarnung des Titelträgers als wissenschaftlicher Scharlatan. Die Besonderheit dieses Falles ist es, dass die Doktorarbeit gerade keine Fälschung war. Diese war korrekt erstellt worden. Weitere wissenschaftliche Arbeiten waren gefälscht worden. Deshalb entzog im Jahre 2004 die Universität Konstanz den Doktortitel und der betroffene Wissenschaftler klagte gegen den weißen Fleck an der Wand.
Auch in zweiter Instanz wurde die Klage abgewiesen. Interessant ist das Urteil wegen der Bezugnahme auf den Begriff der "Unwürdigkeit" des § 35 Abs. 7 des Baden-Württembergischen Landeshochschulgesetzes. Prof. Dr. Dr. Tiedemann weist in einer Entscheidungsbesprechung zu Recht auf die juristische Fragwürdigkeit dieses Begriffes hin. Ist es z.B. unwürdig in der Vorschrift, wie weiland ein Prinz aus Hannover gegen eine Ausstellungsgebäude auf der Expo 2000 zu pinkeln? Das ist nicht entschieden.
Prof. Tiedemann kritisiert das Urteil trotzdem: "Erstaunlicherweise hat sich der VGH recht leichtfüßig über die von ihm selbst geäußerten Bedenken bezüglich der "Konturlosigkeit" des Begriffs der Unwürdigkeit hinweggesetzt. Vorbehaltlich der noch nicht veröffentlichten Urteilsgründe haben die Richter sich offenkundig nicht damit beschäftigt, dass § 35 Abs. 7 LHG ursprünglich auf eine Formulierung aus der Zeit des Nationalsozialismus zurückgeht. Damals wurden über diese Regelung jüdischen und politisch missliebigen Akademikern der Doktorgrad und die damit verbundene Reputation entzogen.
Der VGH hat sich ebenso wenig von dem Umstand beeindrucken lassen, dass der Begriff der Unwürdigkeit bis auf eine einzige Ausnahme bisher immer nur so ausgelegt worden ist, dass die Entziehung des Doktorgrades als eine Art Nebenstrafrecht fungierte. Die Konsequenzen eines Fehlverhaltens wurden allerdings (wenn auch nur selten) nicht von den Strafverfolgungsbehörden, sondern von den Universitäten exekutiert, wenn etwa der Titelträger Kandidaten beim Prüfungsbetrug im Staatsexamen geholfen, ein Tötungsdelikt oder Betrugsdelikte begangen hatte. Aufgrund dieser Vorgeschichte hätte es nahe gelegen, den Begriff der Unwürdigkeit als unbrauchbar für eine rechtsstaatliche Eingriffsregelung zu qualifizieren. Statt es bei schwammigen Formulierungen zu belassen, wären die Landesgesetzgeber gezwungen worden, sich konkretere und rechtstaatlichen Standards entsprechende Tatbestände auszudenken. Vorschläge dafür liegen bereits vor. So aber bleibt es weiterhin der Einsicht und Ansicht des jeweiligen Richters überlassen, in welchen Fällen es zu einem Entzug des Doktorgrades kommt." - soweit der Kommentator Prof. Tiedemann.
Diese Einschätzung ist richtig und natürlich auch das Urteil im Ergebnis, es wäre vermutlich besser gewesen, einem Scharlatan und Betrüger nicht die Möglichkeit zu geben, zu behaupten, er wäre mit ähnlicher Begründung wie Thomas Mann abgestraft worden.
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